Wild war diese Fahrt
Wild war diese Fahrt. Meine erste. Übersäht von Mückenstichen inklusive eines Sixpacks auf der Stirn, hatten wir unser altes Antlitz nach 13 Tagen Unterwegssein abgelegt. An unserem Ziel in Finnland haben wir schnell gemerkt, dass es kaum konkrete Erwartungen an diese Fahrt gab. Und doch ging es wie aus dem Nichts darum, tausend einzelne Wünsche und Gefühle unter einen Hut zu bringen. Nicht erwartet hatten wir allerdings, wie ätzend zwei Nächte hintereinander in einem FlixBus sein können. Oder wie schön der riesige rote Mond über der Sierkierkowski-Brücke in Warschau stehen würde. Ich persönlich hatte auch die 11 km Strecke durch Warschau nicht erwartet, die wir inmitten der Nacht gelaufen sind und auch der ein oder andere Fuß der Gruppe war von dieser Aktion dezent überrascht.
Es ist viel passiert auf dieser Fahrt. Viel zu viel, um es in nur einem Text zu sammeln. Das könnte daran liegen, dass wir in zwei Wochen 7 Länder wie auch Hauptstädte bereist haben und dabei die meiste Zeit wach waren. Auf unserer Reise wurde schnell klar, dass Bus und Bahn schwierige Schlafplätze abgeben. Manch einer hat in einer halben Nacht den ganzen Bus ausprobieren müssen. Und in Finnland wurde schnell klar, dass es ja tatsächlich permanent hell bleibt. Es gibt hell, richtig hell, weniger hell und „huch, es wird gerade wieder heller“, es ist im Juni jedoch nie dunkel. „Keine schwierige Vorstellung“ könnte man denken. Aber glaubt mir, es fühlt sich schon sehr verrückt an, wenn der Körper langsam müde wird und der Geist hellwach bleibt. So liefen die Uhren nicht im Minuten-Takt, sondern eher in 2-Stunden-Sprüngen.
Hervorgehoben werden müssen die Mücken, da jeder im Laufe der Zeit seinen ganz eigenen Nervenzusammenbruch mit ihnen hatte. Die gesamte Woche in Finnland wurde experimentiert, wann der beste Zeitpunkt zum Kochen, Ruhen, aktiv sein oder für den Gang zu unserer hübsch angelegten Naturtoilette (wir haben so tief gebuddelt, wie der Größte von uns lang ist, also sehr tief) sein könnte. Das Ergebnis bleibt unklar, jeder endete mit mehr als 100 Mückenstichen zum Abschied.
Ungewöhnlich für eine Fahrt war unser lagerähnliches Leben in „Nomad Town“ nahe der Stadt Joensuu, wo unser lieber Gastgeber Huck lebt. Das Lagern führte zwischenzeitlich zu ein wenig Frust, waren wir doch so scharf aufs Unterwegssein und auf die finnische Natur. Daher machten wir uns zusammen mit Huck auf Spurensuche. Gefunden haben wir viele uns unbekannte Vögel, eine nordisch gefärbte Kreuzotter, finnische Jugendliche, alte Teerbrennlöcher im Wald, Spuren von Elch und Wolf, einen über 300 Jahre alten Kiefernstumpf, einen klaren See zum Schwimmen und Sonnentau in einem wunderschönen Moor, was wir nach Hucks Vorbild barfuß und mit geschärften Sinnen erkunden gingen.
Wie unser Wildnisführer Huck zum Waldläufer wurde
Dieser Tag zu Fuß mit der Gitarre in der Hand und Geschichten auf den Lippen hat uns sehr glücklich gemacht. Nicht zuletzt, weil auf dem Weg zum See, an dem auch die Hälfte der Gruppe eine Übernachtung plante, ein Plan reifte, der beim Frühstück recht spontan entstanden war. An dieser Stelle ist es Zeit, unseren Gastgeber noch einmal kurz vorzustellen:
Huck kommt ursprünglich aus Deutschland und lebt schon viele Jahre in Finnland. Seit fünf Jahren ist ein Grundstück sein Zuhause, welches eine Wiese, ein Stück Wald, ein altes Haus, Millionen Ameisen und vor allem Hucks Jurte umfasst, in der er lebt. „Nomad Town“ hat er diesen Ort der Möglichkeiten und Begegnungen genannt und die Waldjugend schon vor einigen Jahren dorthin eingeladen. Er arbeitet als Wildnispädagoge und teilt mit seinen Gästen sein umfangreiches Wissen und Können über den Wald und ein nachhaltiges Leben im Einklang mit der Natur. Schon vor vielen Jahren hat Huck die Waldjugend kennen gelernt, musste jedoch bedauernd feststellen, dass sie nicht mehr in seinen ausgelasteten Alltag passen kann. Klingt eigentlich nach einem Tip-Top Waldläufer, oder? Vergessen hat er uns jedenfalls nie mehr und sich seither immer gewünscht, wieder Kontakt knüpfen zu können.
Zurück zum Frühstück vor der Wanderung zum See… Während Huck uns eine finnische Spezialität zubereitete, sprachen wir urplötzlich über das Wie seiner Aufnahme, ohne je das Ob tatsächlich besprochen zu haben. Es war für uns, trotz der kurzen Zeit mit Huck, einfach klar: Er würde an diesem Tag ein Waldläufer werden.
Es wurde das eine Halstuch, welches ohne konkrete Bestimmung vor der Fahrt eingesteckt worden war, inklusive kleiner Träne gewickelt; aus dem Elchknochen, den wir am Tag zuvor gefunden hatten, wurde ein Stück herausgesägt und geschliffen; zwei, drei passende Sätze wurden zurechtgelegt und zwei Lieder, ein Gitarrist und eine Rednerin bestimmt. Gefehlt hatte dann nur noch der passende Ort, den wir am See im Wald fanden. Die Sonne schien schräg durch die Bäume auf das sanfte Wasser und wir fanden uns mit einem zutiefst überraschten wie auch gerührten Huck in einem Kreis wieder, aus dem er nach vielen emotionalen und feierlichen Worten und mit seinem Halstuch hervortrat, um uns das angrenzende Moor und dessen Besonderheiten zu zeigen, als wäre er schon immer ein Waldläufer gewesen. Waren doch viele Gruppenleitende auf dieser Fahrt dabei, so genossen wir alle, das Huck uns durch die finnische Natur leitete und auf deren Wunder aufmerksam machte.
Durchhalten oder auch “sisu”
„Sisu“. Das ist ein finnischer Begriff. Er bedeutet so in etwa „weitermachen/durchhalten, obwohl es hoffnungslos ist“ oder „Zähigkeit/ Beständigkeit“. Dieser Begriff begleitete uns vor allem auf der Fahrt von Finnland nach Hause. Schon die erste Nacht machten viele von uns im Stadtpark von Joensuu schlichtweg durch, da es erstaunlich kalt war. Dann ging es mit dem Zug nach Helsinki, was wir uns einen ganzen Tag anschauen wollten und wo es erstaunlich heiß war. Hier haben wir zum ersten Mal den finnischen Schlager auf der Straße geschmettert, der uns in Joensuu ans Herz wuchs. Weiter ging es mit der Party-Fähre nach Stockholm, auf der wir uns einen kleinen Karaoke-Auftritt nicht nehmen lassen konnten. Natürlich wieder auf Finnisch. In Stockholm schlug dann abends der Hunger zu und verlangte wieder „Sisu“ bei der Suche nach einem geeigneten Platz, ums mitten in der Stadt zu kochen. Wir hatten schlussendlich sogar einen ganz eigenen Steg dafür gefunden. Wieder sitzend im Zug ging die Fahrt über Nacht nach Kopenhagen, das zum Schluss wieder einmal einige Kilometer zu Fuß von uns sehen wollte. Nach einem kulinarisch und architektonisch aufregenden, dänischen Tag, teilte sich unsere liebe Fahrtengruppe auf, da einige noch einen Tag am Meer verbringen wollten, während die andere Hälfte nach Hamburg weiterfuhr. Nach einem lauten Lied und einem sachten Horrido in der Kopenhagener Bahnhofshalle trennten sich unsere Wege, wobei die frühen Heimkehrer noch einige Stunden auf den Nachtzug warten durften.
Zum Glück hatten wir tonnenweise Würstchen im Schlafrock und dänische Rumkugeln gerettet, um die Saboteure zu besänftigen!
-Reisebericht von Fuchsi